Linz im Böhmerwald

Bücher und Publikationen des Heimatkreises

Linz im Böhmerwald – Chronik einer alten Siedlung
Herausgeber: Franz Lang, Heimatortsbetreuer, 1986

Buchbesprechung

 

„Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt,
Der froh von ihren Taten, ihrer Größe
Den Hörer unterhält, und still sich freuend
Ans Ende dieser Reihe sich geschlossen sieht.“

Mit diesem Zitat von Goethe – dem Vorwort dieses Buches vorangestellt – wird bereits die Grundhaltung angezeigt, die sich beim Lesen wie ein roter Faden durch das vorliegende Buch einstellt.

In seinem Vorwort äußert der Autor die Befürchtung, daß sich durch die natürliche Abberufung der noch lebenden Zeitzeugen nach wenigen Jahren der Mantel des Schweigens über die Vertreibung ausbreiten könnte. Die Befassung mit der Geschichte helfe aber, die durch die Vertreibung verloren gegangene Identität wieder zu finden.
Sein Buch könne für die Älteren die Erinnerung wachhalten und für die Jüngeren Anlaß zur Besinnung auf ihre Herkunft und ihr Erbe sein, das sie in ein von geistiger Verwirrung geläutertes Europa einzubringen hätten.
Franz Lang widmet sein Buch den Gefallenen der beiden Weltkriege und den Opfern des 2. Mai 1945 die auch im Buch abgebildet werden.
Grußworte entrichten der ehemalige Heimatkreisbetreuer Rudolf Kiefner, der Erste Bürgermeister der Stadt Furth i. Wald, Reinhold Macho und der Bürgermeister von Ortenberg (Hessen) Wilfried Schulz.

Dramaturgisch gelungen, beginnt der erste Teil des Buches mit dem Kapitel „Tage der Entscheidung im Jahre 1945“ mit Erlebnisberichten und Zeugenaussagen, die folgendes Bild ergeben:
Der 2. Mai 1945 spielte in der Geschichte von Linz eine bedeutende Rolle. Nur durch den Linzer Bach getrennt, lebten die 300 Linzer an dieser Sprachgrenze Jahrzehnte lang in unmittelbarer Nachbarschaft mit den etwa 1000 Possigkauern, teilten mit ihnen dieselbe Pfarreikirche, denselben Pfarrer, holten sich ihre Bräute aus dem jeweils anderen Dorf und waren auch sonst eher freundschaftlich verbunden.
Am 2. Mai 1945 jedoch war alles anders. Als sich die Nachricht vom Ergeben der deutschen Truppen in Berlin und dem Vormarsch der amerikanischen Truppen über Furth i. Wald und Klentsch Richtung Pilsen verbreitete, versuchten die Tschechen – sich nun ebenfalls als Sieger des Krieges empfindend – aufgeputscht von fanatisierten Nationalisten im Radio und in den tschechischen Dörfern, begleitet von rachelüsternen freigelassenen russischen Kriegsgefangenen, ihren Übermut an den wehrlosen Deutschen in unmittelbarer Nachbarschaft zu kühlen. Mit Knüppeln und Gewehren bewaffnet, teilweise in Chodentracht gekleidet, gefolgt von der Possigkauer Musikkapelle, zogen sie in Linz von Haus zu Haus, warfen Fensterscheiben ein, brachen verschlossene Türen auf und zwangen die Bewohner zum Mitmarschieren. Wer sich weigerte wurde blutig geschlagen und zum Verhör nach Possigkau an den Haaren mitgeschleift, gefoltert und gelyncht. Am schlimmsten wüteten diejenigen Tschechen, die währen des Dritten Reiches mit den Deutschen zusammengearbeitet hatten und nun befürchten mußten, daß Unangenehmes ans Tageslicht kommen könnte. Viele der tschechischen Arbeiter, sozialdemokratischer und kommunistischer Coleur, die noch wenige Jahre vorher mit ihren deutschen Genossen am 1. Mai in Pilsen unter dem Transparent „Tschechisch-Deutsche Freundschaft“ demonstrierten oder in Bayern oft auf der gleichen Baustelle gemeinsam arbeiteten, hatten nun keine Hemmungen, diese Schicksalsgenossen totzuschlagen, sie ihres Besitzes zu berauben oder sie in die Zwangsarbeit zu verschleppen. Das Ergebnis dieser tschechischen „Heldentaten“ des 2. Mai 1945 waren fünf unschuldige ermordete Deutsche, an unbekanntem Ort verscharrt.
Unter die Haut gehende Berichte von Augenzeugen aus Linz, Parisau und Wottawa berichten weiter vom bestialischen Wüten enthemmter Tschechen auch noch Tage nach dem 2. Mai. Als am 4. Mai eine sechsköpfige Clique blutrünstiger tschechischer Partisanen, die zuvor von amerikanischen Soldaten mit Waffen ausgestattet worden war, auf dem Weg nach Wottawa von deutschen Soldaten liquidiert wurde, feierte die tschechische Bevölkerung und die tschechische Presse sie wie Märtyrer. 
Viele Linzer verließen in diesen Tagen heimlich bei Nacht und Nebel unter Zurücklassung von Haus und Hof ihren Heimatort und flüchteten über die nahe Grenze nach Bayern.
Ende Juni 1946 wurden dann fast alle noch verbliebenen Deutschen aufgefordert, sich zum Abtransport nach Taus bereit zu machen. Das war das Ende des deutschen Dorfes Linz.

In einem Kapitel „Aus der Geschichte Böhmens“, reich bebildert mit Karten, Stichen und wichtigen Fotos wird kenntnisreich ein großer Bogen gezeichnet von der Frühzeit der Besiedlung Böhmens, der Epoche der Premysliden, der Regentschaft deutscher Fürstenhäuser bis zum Ausbruch des Hussitenkrieges, von der Schlacht bei Taus bis zur Schlacht am Weißen Berg, vom Ende der Selbständigkeit Böhmens bis zum Ende der Donaumonarchie, von der Staatsgründung bis zum Anschluß an das Deutsche Reich nach dem Münchner Abkommen. 
Eingebettet in dieses große Kapitel werden – ebenfalls belegt durch Zeitzeugen – lokale Ereignisse beleuchtet wie die tschechische Minderheitenschule in Linz als Ausdruck der nationalen Gegensätze und die Folgen des Anschlusses aus tschechischer Sicht.

Im Kapitel „Aus der Geschichte der Herrschaft Ronsperg und Stockau“ wird die Lage von Linz an der Grenze dieser beiden Herrschaftsbereiche kurz aber überschaubar beschrieben.

Einen weiteren wichtigen Abschnitt stellt „Aus der Geschichte von Linz“ dar. In ihm wird Lage und Landschaft, der Linzer Bach mit dem idyllischen Elisienthal, die Besiedlung des Ortes, die Herkunft des Ortsnamens und der Familien- und Flurnamen ausführlich beschrieben. Behandelt werden Statistik und Ortsverwaltung, das Geldwesen und die Preise, Maße und Gewichte in verschiedenen Zeitabschnitten. Belegt durch detaillierte Angaben aus Steuerrollen, Visitations- und Herrschaftsverzeichnissen und Katastertabellen werden die Eigentumsverhältnisse und die Landwirtschaft in Linz beschrieben. Erwähnung findet die Deutsche Volksschule in Linz mit zahlreichen Fotos von Schulklassen. Die dort Abgebildeten werden alle namentlich benannt.

Ein überaus wichtiges Kapitel ist der spannenden und interessanten „Geschichte der Linzer Mühlen“ gewidmet. Linz war ein ausgesprochenes Mühlendorf. Von den ursprünglich fünf Mühlen waren zum Zeitpunkt des Anschlusses an das Deutsche Reich noch vier in Betrieb. Erklärt werden mittelalterliches Mühlenrecht, Mühlenordnungen, Herrschaftsmühlen, Mahlzwang, der Bau der ersten Linzer Mühle und eingehend auch die Geschichte der anderen Linzer Mühlen, alles reich bebildert mit technischen Zeichnungen Zeichnungen und Darstellungen aus früheren Tagen und dem Verfall der heutigen Zeit.

Der Mundart, dem Alltagsleben, sowie dem kirchlichen Leben sind heitere und besinnliche Abschnitte gewidmet. Ein weiterer Abschnitt befaßt sich mit den Uniformen im Wandel der Zeit und der Musterung während der CSR-Zeit. Vorgestellt werden – aufgelockert durch mundartliche Gedichte – Jungenderinnerungen, heitere Begebenheiten und Linzer Originale.

Das sicher bedeutendste Kapitel befaßt sich jedoch mit der „Haus- und Familienchronik“.
Dies ist umso wichtiger, als es für Linz, das vor 1784 zur Pfarrei Schüttwa gehörig, danach zur Pfarrei Klentsch kam, keine Kirchenbücher mehr gibt. Sie fielen einem Bombeneinschlag in das Pfarrhaus am Ende des Zweiten Weltkrieges zum Opfer.
In diesem Abschnitt wird auch die Numerierung des Ortes und die Herkunft der Haus- und Hofnamen beschrieben. Basierend auf den Angaben des Grundbuches und diverser Kontraktenbücher wird Hof für Hof und Haus für Haus beschrieben. Viele genaue Angaben fehlen leider in diesem Kapitel dann, wenn sich das Datenmaterial nicht auf Angaben aus den jeweiligen Familien heraus stützen kann und nur auf die spärlichen genealogischen Angaben in den Grundbüchern beschränken muß.
Angereichert ist das gleichwohl hochinteressante Kapitel mit Bildern der Anwesen, entweder aus der Zeit vor oder nach der Vertreibung, mit Bildern der jeweiligen Eigentümer oder Bewohner, Kopien von Besitzbögen, Notariatsakten, Übergabeverträgen, Lehrbriefen oder Todtenscheinen, vor allem aber mit vielen übersichtlich gezeichneten Stammtafeln, in denen die Abstammung der männlichen und der weiblichen Linie mit Geburts- und Traudaten, oft aber auch die Kinder und Enkel der letzten Bewohner festgehalten ist. Für den Familien-forscher ist dieses Kapitel eine wahre Fundgrube und unersetzliches Grundlagenwerk.

Abgeschlossen wird das Buch mit einer Tabelle „Die Verstorbenen nach der Vertreibung 1945/46“, dem Inhalts- und Quellenverzeichnis und dem Notenblatt des Liedes „Tief drin im Böhmerwald“. Die erste Doppelseite zeigt eine Karte des Sudetenlandes in den Grenzen von Böhmen und eine topografische Karte von Linz und seiner Umgebung, die letzte Doppelseite die Übersichtskarte des Kreises Bischofteinitz. Das Buch hat Querformat und umfasst 312 Seiten.
Obwohl schon fast zwanzig Jahre vergangen sind, seit dieses Buch erschienen ist und der Autor nicht mehr unter uns weilt, ist es so aktuell wie nie zuvor. Es informiert den an der Geschichte interessierten genauso fundiert wie es den Nachfahren der aus diesem Dorf stammenden deutschen Familien wichtige Hilfestellung bietet bei der Erforschung der Vorfahren und der Familiengeschichte.

Alfred Piwonka, Furth im Wald, April 2005