Muttersdorf [Mutěnín]
Betrat man den Ort von Osten her, so führte uns der Weg an dem herrschaftlichen Meierhofe vorbei, und der 440 m lange, sanft ansteigende Markt lag vor uns. Im oberen Teile stand die Kirche mit dem früheren Friedhof auf erhöhtem Platze. Beiderseits der Straße lagen, durch kleine Gäßchen voneinander getrennt, aufgelockert die einzelnen Bürgerhäuser. Die Dreifaltigkeitssäule, vom Zolleinnehmer Göhl gestiftet, trennte den mehr geneigten unteren Marktplatz vom oberen eigentlichen Platz. In der Mitte der rechten Häuserreihe lag das herrschaftliche Haus (Schloß), ihm gegenüber das kaiserliche Zollhaus. Besondere Zierden des Marktes bildeten die zwei uralten Linden oberhalb der Kirche, die majestätischen Kastanienbäume vor der Kirche, anschließend die zehn Akazienbäume und die schmucke Lindenallee beiderseits der Straße.
Die Ortschaft bestand aus drei Teilen. „Markt“, „Gasse“ und „Häuseln“.
Die Gasse bildeten zwei Häuserreihen, gleichlaufend mit denen des Marktes und durch vier Gäßchen mit diesem verbunden; der dritte und jüngste Ortsteil sind die Häuseln, die die westliche Fortsetzung der Gasse entlang des Goldbaches bildeten.
Die astronomische Lage Muttersdorfs war 30 Grad 24 Minuten 28 Sekunden östlicher Länge nach Ferro. Der höchste Punkt der Gemeinde war der Schmalzberg (602 m), der tiefste am Goldbache (452 m).
Das Gebiet der Gemeinde Muttersdorf hatte ein Flächenmaß von 739 ha, der sich zusamrnensetzte aus 454 ha Ackerland, 162 ha Wiesen, 56 ha Wälder, 21 ha Wege und dem Reste aus Weiden, Teichen, bebauten und unproduktiven Flächen.
Die erste Anlage von Muttersdorf läßt sich geschichtlich nicht nachweisen. Die Reste des alten Wasserschlosses stammten von seinem eigentlichen Gründer Mutina. Der bekannte Forscher Sedlaček schrieb in seinem großen Werk „Hrady a zamky“ über den Ort: „Es ist unzweifelhafl, daß Muttersdorf seinen Namen von einem gewissen Mutina hat, weil in den Jahren 1174-1185 die Briider Dobrohost und Mutina von Bukowetz (jetzt Mogolzen) Burggrafen von Prag waren, die Namen daran erinnern und ihre Nachkommen in Muttersdorf siedelten.“
Da über die Namensgebung und Gründung eines Ortes in alter Zeit selten Nachrichten bekannt sind, so muß hier dies näher erläutert werden, weil gleichzeitig Hostau und Wasserau, vielleicht auch Altgramatin, damit verbunden sind.
Daß an dem Gold- oder Altbache schon Siedlungen aus älterer Zeit vorhanden waren, ist als sicher anzunehmen. Wenn sich die beiden Burggrafen Dobrohost und Mutina vom böhmischen König Land schenken ließen, dann konnte es nur dort geschehen, wo es nicht zu stark in andere Besitzstände eingriff. In diesem Falle an der Nahtstelle zwischen zwei Gebieten, dem der Tauser und Pfraumberger Choden, die seit ungefähr 1040 hier saßen und deren Grenze, wie öfter in Vergleichen erwähnt, die alte Zollstraße von Hostau-Muttersdorf-Wasserau-Kleingorschin und am Reichenstein vorbei nach Schönsee in Bayern führte.
Dobrohost als der erstgenannte, und nach alter Gepflogenheit deshalb der ältere, nahm die dem Innern Böhmens nähere Stätte ein, Mutina die weiter dem Wald zu liegende. An beiden Orten entstand ein Wasserschloß, bei Hostau im Westen, in Muttersdorf im Osten.
Diese „Insel“, wie sie auch in neuerer Zeit noch genannt wurde, entstand in Muttersdorf durch das Bauen eines langen, starken Dammes aus großen Felsblöcken, die den Goldbach zu einem ziemlich großen Teich stauten, dessen Wasser bis an die Mauern des heutigen Meierhofes reichte. Diese umfangreiche Anlage konnte nur dem starken Willen eines Herrn entsprungen sein. Die Ursiedler der Insel wurden, wie es auch noch heute bei Talsperren geschieht, ausgewiesen und an anderer Stelle, angesiedelt und zwar weiter Westwärts, weil ja das Land im Osten schon besiedelt war. Sie wurden „die von der Insel“ genannt, tschechisch Ostrov-Wostrov, aus dem „Wasserau“ wurde (ausgerechnet „Wasserau“, wo Wasser ziemlich selten war), allerdings Wasserau I an dem südlichen Teil der Chodengrenze.
Mutina brauchte nun Siedler, die seinen neuen Ort bevölkern und durch Fleiß die Grundlagen zu größeren Abgaben bilden sollten. Nicht ein tschechisches Runddorf wurde es, sondern nach deutscher Art ein Reihendorf, in dem jedem Hof die gleiche Breite längs der Straße zugewiesen wurde und auch die Felder in langen Streifen oft bis zur nächsten Gemeindegrenze liefen. Dazu werden wohl nur deutsche, vermutlich fränkische Siedler gebraucht worden sein. Der neue Ort hieß nun nach seinem Gründer „Mutina“, schon bald aber „Mutinsdorf“.
Noch im Jahre 1333 saßen in Hostau und Muttersdorf Verwandte desselben Geschlechtes, verkauften sie noch gemeinsam wie es in einer deutschen Urkunde in München hieß, die Burg Reichenstein, das Städtlein Schönsee und Dietersdorf – alles heute in Bayern – an den Landgrafen Ulrich von Leuchtenberg. Hier heißt die deutsche Bezeichnung „Muttestorff“, näherte sich also der jetzigen Schreibweise stark an. Dies Geschlecht hatte sich also schon frühzeitig auf der von Westen kommenden Straße Stützpunkte errichtet, ohne den königlichen Chodenwald zu beeinträchtigen.
Prothus oder Protiwa präsentierte 1360 und 1364 einen Pfarrer für Muttersdorf, die Vormünder seiner minderjährigen Kinder, die Brüder von Rosenberg, 1378 einen Pfarrer für Hostau. Sein Sohn Raczek besaß 1388 Muttersdorf, Hostau, Ostrov (Wasserau), Gramatin, Horouschen und Hassatitz. Man sieht daraus die enge Verflechtung der beiden Orte, die noch bis zu den Hussitenkriegen demselben Geschlecht angehörten.
Die Hussitenkriege sind auch an Muttersdorf nicht spurlos vorübergegangen; der offene Ort wurde zerstört, Einwohner ermordet und ausgeplündert, so daß nach mündlicher Überlieferung nur eine Witwe mit ihren zwei Kindern übrig geblieben war.
1424 war der Besitzer der Adelige Pawlik von Bělowic (späterer Meierhof Wellowitz). Er präsentierte 1433 einen Pfarrer. Die Glocken von 1434 und 1440 mögen wohl von ihm gestiftet worden sein. Von dem 1464 hier sitzenden Benesch von Mutina und seiner Gemahlin Katrusch ist weiter nichts bekannt.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts besaß die Herrschaft Nikolaus von Seeberg. Durch die Heirat des Georg von Wiedersperg mit der Tochter Margarete des Nikolaus von Seeberg wurde das „Städtchen“ Muttersdorf mit den Bauernhöfen und dem Kirchenpatronate um 625 Schock böhmische Groschen Eigentum der Wiedersperger, das es bis 1857 auch verblieb. Zu dieser Zeit war die Herrschaft noch klein und beschränkte sich auf Muttersdorf und Wasserau.
Durch drei Jahrhunderte hindurch teilte nun Muttersdorf mit dem aus dem sächsischen Vogtlande stammenden Geschlechte der Wiedersperger Freud und Leid.
1534 wurde vom Kaiser die erste Bergwerksbewilligung erteilt. 1571 bestand bereits eine Glashütte. 1573 wurde die Kirche von pfälzischen Räubern geplündert und der Erzbischof von Prag um eine Spende zur Wiederherstellung angegangen. Unter der Herrschaft Johannes II. von Wiedersperg erhielt der Markt 1577 sein Wappen.
Das Wirken Heinrichs III. von Wiedersperg fiel in die Zeit der Reformation (1517 bis 1555); er vermehrte seinen Besitz durch die Erwerbung von Schwanenbrückl und Rindl und des ganzen königlichen Grenzwaldes gegen Bayern. 1605 schloß er mit seinen Muttersdorfer Untertanen, deren „Treue und Gehorsam“ er lobte, einen Vertrag, wonach sie ihm den Stengelmühlweiher abtraten und er ihnen das „kleine Weiherl“ und ein Stück in der „goldenen Seuchen“ gab. 1614 stiftete er die große noch vorhandene Glocke mit dem Wappen der Wiedersperger.
Der bekannte Sprachenerlaß der böhmischen Stände von 1615 (tschechische Sprache war Amtssprache) rief in Muttersdorf Verwirrung hervor, weil sich infolge des deutschen Ursprungs der Wiedersperger der Übergang zur deutschen Sprache bereits vollzogen hatte. Erst unter Kaiser Ferdinand II. (1619-1637) wurde die deutsche Sprache wieder gleichberechtigt (1627″Vernewerte Landesordnung“).
Auch der Dreißigjährige Krieg hatte Muttersdorf in starke Mitleidenschaft gezogen: Plünderungen, Besetzung durch pfälzische Truppen 1621. Durch Mißernte entstand Hungersnot. Seuchen rafften viele Bewohner dahin,1636 trat die Pest auf.
1644 teilte man den Herrschaftsbesitz in drei Teile. Den Teil Muttersdorf bekam Johann Jacob Ritter von Wiedersperg, das Gut Schwanenbrückl erhielt Johann Georg; es wurde später wieder mit Muttersdorf vereinigt. Das Gut Wasserau mit der Althüttner Mühle fiel an Leopold Konstantin.
Bei Muttersdorf verblieben das alte Schloß, Brauhaus, der Meierhof, kleiner und großer Obstgarten, Herren- und Kleine Mühle und verschiedene Nutzungen aus Liegenschaften in einem Gesamtwerte von 21 337 Schock. Nach den heutigen Verhältnissen bildeten das neue Gut die Gemeinden Muttersdorf, Neid, Schwarzach (ohne Paadorf) und die Lohe von Gorschin.
In diesem Jahre (1644) belagerte eine Schar Soldaten Muttersdorf. Die Bewohner flüchteten mit Hab und Gut in die Wälder, auch der Gutsherr; 18 Häuser waren leer.
1654 wurden für Muttersdorf 22 Bauern, 10 Chalupner, 22 Gärtner (Häusler), 1 Neusiedler und 1 abgebranntes Anwesen genannt.
In den Jahren 1668-1674 und 1698 war das Kupferbergwerk wieder in Betrieb.
1654-1680 lagen in Mutterslorf kaiserliche Soldaten in Winterquartieren bei Bürgern und Bauern und erwiesen sich als Plage. Während der Türkenkriege (1684-1687) gab es wieder Einquartierung; 1693 zahlte der Unternehmer des Hauses Nr. 3 bei den Soldatendurchmärschen eine Bierschuld von 21 Gulden; eine bedeutende Summe.
Für seinen Herrn Friedrich Franz von Wiedersperg verwaltete 1713 das Gut der kaiserliche Zolleinnehmer Jakob Josef Göhl, dessen Name im „Göhler Gaßl“ und dem „Göhl- Weiher“ erhalten ist. Ein Aufbäumen der leibeigenen Muttersdorfer gegen ihre Obrigkeit 1722 hatte einen teilweisen Erfolg.
1736 erfolgte die Errichtung einer Kaplanstelle an der Kirche St. Bartholomäus.
Der Leichnam des 1751 verschiedenen Gutsherrn Christof Wenzel von Wiedersperg wurde im Schlosse beim Meierhofe aufgebahrt. Eine brennende Kerze verursachte einen Brand, der das ganze Schloß einäscherte. Das Schloß wurde nicht wieder aufgebaut. An seiner Stelle entstand ein einstöckiges Haus für Meierhofleute. Die herrschaftliche Familie wohnte seitdem im Herrenhause auf dem Marktplatze, das von nun an „Schloß“ genannt wurde. 1759 spendete der Gutsherr der Kirche die noch vorhandene große zinnerne Ampel mit dem „Ewigen Licht“, verziert mit dem goldenen Wiedersperger Wappen.
Die in ganz Böhmen herrschende Dürre (1771) brachte auch für Muttersdorf eine Hungersnot, die die Sterblichkeit auch junger, kräftiger Menschen verursachte.
1781 fiel auch für die Muttersdorfer Untertanen die unwürdige Leibeigenschaft.
Die „Unter-Mühle“ erstand 1779; der Herrschaftsbesitzer verkaufte 1786 die „Hühner- Mühle“ und 1800 das alte Schulhaus.
1857 kaufte das Gut Karl Freiherr von Beck auf Ronsperg. Damit gingen die Güter für immer in fremde Hände über und waren für die Wiedersperger verloren. Mit diesem Freiherrengeschlechte war die Marktgemeinde von 1509-1857 in guten und bösen Zeiten verbunden. Oberst Ferdinand von Wiedersperg widmete 1917 der Kirche einen Weihbrunnen. Das Herrenhaus auf dem Marktplatze baute man 1873 zu einem zweistöckigen Schlosse um. Bis 1850 amtierte das Patrimonialgericht (Ortsgericht) in Muttersdorf; dann verschwand die „gnädige Obrigkeit“, und alle Rechte in politischer und gerichtlicher Hinsicht gingen an das Bezirksgericht in Hostau über. Die Gemeinden waren von nun an selbständige Körperschaften.
Von 1869-1926 waren die Grafen Coudenhove-Kalergi von Ronspergheim die Besitzer des Gutes Muttersdorf.
Die erste Nachricht von der Pfarre in Muttersdorf stammte aus dem Jahre 1352. Es ist aber mit Sicherheit anzunehmen, daß sie weitaus älter ist. Der Pfarrsprengel war im Laufe der Zeit verschieden großen Umfangs. Ursprünglich bestand er aus den Orten Muttersdorf und Wasserau; im 16. Jahrhundert kamen fünf, im 17. Jahrhundert nochmals fünf und im 18. Jahrhundert weitere vier Gemeinden dazu, demnach insgesamt 14 umliegende Ortschaften.
Die Kirche zum hl. Bartholomäus war 1707 im romanischen Stil erbaut worden. Der Kirchturm war 32 m hoch und trug 6 bronzene Glocken. In der Mitte der Kirche lag die ehemalige Gruft der Wiedersperger. Die Kirche war nicht prunkvoll, aber zweckmäßig ausgestattet. Nur das Taufbecken war ein kunstvolles Werk der Zinngießerei. Der Pfarrhof fiel 1877 dem großen Brande zum Opfer; 1878 erfolgte der Neubau. Seit 1359 waren an der Kirche 38 Pfarrer und 53 Kapläne installiert. Beerdigt wurden die Verstorbenen zu dieser Zeit an 5 Begräbnistätten: 3 katholische, 1 jüdischer Friedhof und die freiherrliche Gruft. 1644 legte man den Friedhof St. Sebastian oberhalb des Marktes rings um die alte St.- Sebastians-Kirche an.
Im Unterschiede zum Nachbarstädtchen Hostau, das keine Judengemeinde in seinen Mauern duldete, bestand in Muttersdorf eine solche schon seit 1635; sie zählte 1837 bereits 110 Köpfe. Die Juden waren Kaufleute und Händler, hatten einen Rabbiner, von 1829-1870 auch eine eigene Schule, einen Religionslehrer, einen Judenrichter und einen Friedhof auf dem hinteren Schafberg. Die Synagoge erbauten die Juden ohne Erlaubnis und auf eigene Kosten vor 1663.
Eine Nachricht von 1616 besagte, daß die Schule in Muttersdorf schon seit drei Jahrhunderten bestanden hätte. Die Oberlehrer an der Schule: Wenzel Lenk, Stabstrompeter aus Kuniowitz 1781-1819, Andreas Lenk, Sohn des Vorigen, 1819-1831, Josef Lenk, Sohn des Vorigen, 1838-1888, Franz Mulz aus Muttersdorf 1888-1890, Peter Baar aus St. Barbara 1890-1909, Johann Micko aus Glöckelberg 1910-1924, Karl Albrecht aus dem Böhmerwald 1925-1938, Andreas Girg aus Altgramatin 1939-1945.
1654 wurde erstmals das Schulhaus erwähnt; ein neues, 1765 errichtet, stand dem alten gegenüber. Zwischen beiden lag der tiefe Schulbrunnen. Hatte die Schule von jeher nur eine Klasse, erweiterte man sie wegen ansteigender Schülerzahlen (320) 1896 auf fünf aufsteigende Klassen. Das Schulhaus war ein stattliches, in ruhiger Lage gelegenes Gebäude mit fünf Klassenräumen, Kanzlei, Lehrmittel- und Konferenzzimmer, Kabinett und einer geräumigen standesgemäßen Leiterwohnung.
Der genannte Direktor Johann Micko war der Verfasser der „Muttersdorfer Heimatkunde“.
Bemerkenswert für den verhältnismäßig kleinen Ort (1900 Einwohner) war die hohe Zahl Studierter aus Muttersdorf: 13 Geistliche und Nonnen, 2 Oberpolizeiräte (Wien), 1 Dr. jur., 1 Ingenieur, 1 Schulrat, 3 Rektoren, 1 Hauptlehrer, 8 Oberlehrer, 25 Lehrer und Lehrerinnen und 5 Beamte des öffentlichen Dienstes, der Industrie und Wirtschaft.
An Denkmälern zählte der Ort die vom Amtsschreiber Göhl 1711 gestiftete Dreifaltigkeitssäule in der Mitte des Marktplatzes, das wahrscheinlich auch von Göhl in Auftrag gegebene Standbild des hl. Johannes an der Hostauer Straßenbrücke, überdacht von zwei mächtigen Linden, die Statue der schmerzhaften Mutter Gottes in der Gasse und das am unteren Ende des Kirchenhügels 1920 von der einheimischen Firma Alois de Riz errichtete Kriegerdenkmal.
Der sich nördlich des Marktes erhebende Galgenberg war Beweis für das Bestehen eines Hochgerichtes. Der Gutsherr übte durch seinen Amtsrichter die Gerichtsbarkeit aus. Freiheitsstrafen verbüßte man in den 4 Arrestzellen im alten Schlosse.
Rege blühte das Vereinsleben. Es gab 20 Vereine und Genossenschaften. Neben den deutschen Schutzverbänden bestand ein sehr beliebter Leseverein, der über eine Bücherei von 1370 gebundenen Bänden mit meist klassischen, schöngeistigen und belletristischen Werken verfügte.
1902 bekam Muttersdorf nach Überwindung vieler Schwierigkeiten ein eigenes Postamt. Bis zu diesem Jahre mußte der Posteinlauf zweimal täglich aus Hostau herangeschafft werden. Erst im Jahre 1910 fand Muttersdorf den Anschluß an das Eisenbahnnetz durch die Eröffnung der Endstrecke der böhm.-mähr. Transversalbahn von Taus bis Plan.
In volkskundlicher Hinsicht ist es schwer, Daten aus früheren Jahrhunderten anzugeben, weil die Herrschaft nur Interesse an der Zahl der zu Robot und Zins verpflichteten Häuser hatte und keineswegs an der Zahl der Personen. 1615 gab es im Herrschaftsgebiete 60 Untertanen, aber 192 Bewohner; 1644 bestanden 72 Häuser mit 218 Seelen, während 1713 schon 458 Einwohner gezählt wurden. 1847 lebten in Muttersdorf schon 1067 Menschen; 1915 waren bei einer Zählung bereits 1262 Personen anwesend. 1945 zählte Muttersdorf 212 Häuser mit annähernd 1200 Einwohnern. Die Vermehrung der Bevölkerung ohne Zuwanderung war am bedeutendsten auf den Häuseln, weniger am Markte. Einheiraten oder „Einkaufen“ aus fremden Orten geschah recht häufig. Auch durch Abwanderungen schwankte die Einwohnerzahl. Die nicht mit Klöppeln beschäftigten Mädchen gingen früher nach Wien oder Prag, auch Marienbad war während der Saison eine gerne gesuchte Stadt, wo sie sich vielfach verheirateten. Jünglinge zog es nach Wien. Sie wurden Gewerbetreibende oder gingen zur Polizei. Ins „Hopfenpflücken“ zog man nach Saaz oder Bayern, ins „Getreide-Schneiden“ in die Regensburger Gegend; zahlreiche Maurer und Taglöhner arbeiteten häufig in Nürnberg und anderen Orten Bayerns, später auch in Sachsen, wo manche seßhaft wurden. Eine wirkliche Auswanderung vollzog sich 1870 bis 1880 nach Amerika, wohin es auch viele Juden zog.
Die von den Vorfahren überlieferten Sitten und Gebräuche übte man fleißig in den „Rockenstuben“ und bei anderen Anlässen und bewahrte sie so vor der Vergessenheit. Auch an alten Sagen war Muttersdorf nicht arm.
Das Haus Nr.42 (alt Nr.48) war das sogenannte „Spital“, in früheren Zeiten wie an allen Grenzübergängen die Beherbergungsstätte der durchziehenden Fremden als letzter Ort zur Nächtigung vor der Grenze. Als der Verkehr nachließ und in Orten näher der Grenze Gasthäuser entstanden, entfiel die Notwendigkeit der Fremdenunterbringung, und das „Spital“ diente als Asyl für die Ortsarmen; der Name blieb erhalten. Bei dem großen Brande 1877 brannte es ab und blieb zwei Jahre lang als Ruine stehen.
Der Ort wurde in den Jahren 1644, 1675, 1680/81, 1751, 1861, 1877, 1880, 1898, 1909, 1917, 1923, 1933, 1934 (zweimal) und 1935 von Bränden heimgesucht, denen zahlreiche Wohnhäuser und Scheunen zum Opfer fielen.
Als Muttersdorf Hauptort einer großen Herrschaft, Sitz eines Zollamtes und des Kupferbergbaues war, blühte das Handwerk und nährte seinen Mann. Später beschränkte sich dieses auf den örtlichen Bedarf; es hatte seine Wertschätzung gegenüber der Landwirtschaft verloren. 1920 gab es in Muttersdorf noch 5 Müller, 3 Bäcker, 2 Zuckerbäcker, 6 Gastwirte, 4 Fleischhauer, 2 Gärtner, 1 Binder, 1 Töpfer, 5 Schneider, 8 Schuhmacher, 2 Wagner, 2 Sattler, 1 Frächter, 2 Hebammen und 5 Kaufleute. Die Gründung der ersten Zunft (Müller und Bäcker) erfolgte 1733, die der ersten Genossenschaft vor 1868. Auch eine Spar- und Darlehenskasse stand der Bevölkerung zu Gebote.
Eine eigentliche ausgeprägte Industrie bestand hier nicht. 1644 wurde erstmals das als Teil des Meierhofes bestehende herrschaftliche Bräuhaus genannt. Ab 1814 war es an verschiedene Bürger verpachtet, bis der letzte Besitzer, Graf Coudenhove, 1901 die Brauerei aufließ.
Dem Spitzenklöppeln ist es zu verdanken, daß keine wirkliche Armut vorkam.
Die erste Bergbaubewilligung auf Kupfer erfolgte im Jahre 1534. Schon 1538 stand Hans von Wiedersperg mit dem Nürnberger Rat wegen Abnahme von Kupfer in Verbindung. Dafür ließ er sich von den Nürnberger Messingschlagern die berühmte Familienschüssel machen, aus der 1745 36 männliche Wiedersperger das Osterlamm aßen. Als Johann von Wiedersperg 1649 die Nürnberger aufforderte, das Bergwerk wieder abzubauen, lehnten diese das Angebot ab. Die nächste Bergbauperiode begann erst wieder 1660, die dritte und glanzvollste im Jahre 1698. Ab 1707 verarbeitete man die Erze in Muttersdorf selbst. Zu diesem Zwecke diente der Pocher oder der Pucher (Pleschhammer) am Goldbache. An das Bergwerk erinnern die Flurnamen „Bei der Wehr“ (der Goldbach war dort aufgestaut), „Kunst“ und „Pleschhammer“ (Kupferhammer). 1793 begann die vierte und 1869 die fünfte und letzte Periode.
Der Meierhof ging nach der Enteignung 1926 aus den Händen des Grafen Coudenhove in die des tschechischen Sokols Mužik über, der 1938 wieder abzog.
In der Gemarkung Muttersdorf befand sich ein mächtiges Lager von Dionit, das erst von der Wiener Firma „Sommer & Weniger“ und später von der ansässigen Familie Alois de Riz für Grabsteine, Denkmäler und Platten ausgewertet wurde.
Von den beiden Weltkriegen forderte der erste 50, der zweite 72 Tote.
Georg Lehanka und Karl Hannakam