Semeschitz

Semeschitz [Semněvice]

Eine halbe Wegstunde ostwärts der Kreisstadt Bischofteinitz schob sich in das etwa einen Kilometer breite Radbusatal von Norden her eine Hügelzunge vor, die es dem Menschen ermöglicht, in unmittelbarer Nähe des Flusses zu wohnen, ohne durch ihn gefährdet zu sein. Sie fiel nach Westen steil, zum Teil felsig ab, während sie nach Osten sanft auslief, und neigte sich im ganzen gegen Süden. Hier wurde – wohl im Zuge der böhmischen bäuerlichen Siedlung, die der ostdeutschen des 12. und 13. Jahrhunderts zeitlich parallel lief – die Ortschaft Semeschitz gegründet; urkundlich wurde sie im Jahre 1341 zum erstenmal erwähnt. Die Höfe reihten sich lückenlos um einen großen Dorfplatz, der zum Fluß hin zunächst wohl unverbaut blieb; dicht am Dorfkern vorbei führte von jeher die alte Handels- und Verkehrsstraße, die Bayern über Furth i. W. und Bischofteinitz mit Böhmen verband.

Semeschitz gehörte bis zur Aufhebung der Untertänigkeit (1848) stets zum Besitz der jeweiligen Schloßherrn von Bischofteinitz. Im Jahre 1587 zählte es, wie einem Urbar (Zinsverzeichnis) der Herrschaft zu entnehmen war, 19 Anwesen. Der Bauer Mraz führte die Aufsicht über den beim Dorf liegenden herr- schaftlichen Eichenwald, wofür er einen Freihof (naprawa) mit nur geringen Abgaben innehatte. Daher kam der Hofname „Naprank“ und die geschlossene Acker- und Waldfläche dieses Hofes am Eichelberg. Insgesamt zinste damals der Ort jährlich dem Gutsherrn 55 Schock 33 Groschen 6 Pfennige an Geld, 40 Stück Hühner, 239 Eier und ein Pfund Pfeffer, wozu noch 24 Strich Korn von der Mühle kamen.

Die Steuerrolle vom Jahre 1654, eine wirtschaftliche Bestandsaufnahme Böhmens nach dem Dreißigjährigen Krieg, nannte für Semeschitz 16 Bauern und 7 Gärtner (das waren Häusler oder kleinere Handwerker), unter diesen einen Töpfer, des weiteren eine private zweigängige Mühle und eine viergängige Herrschaftsrnühle; zwei Höfe standen leer.

An Ackerland gab es 862 Strich, von denen 197 im Herbst und 187 im Frühjahr bestellt wurden. Der Viehbestand des Dorfes betrug damals 49 Gespanne (Pferde bzw. Ochsen), 59 Kühe, 41 Jungtiere, 101 Schafe und 85 Schweine.

In der Topographie (Ortsbeschreibung) von Schaller, 1789, hies es. „Semboschitz, Sembschitz steht auf der Karte unter dem Namen Semeschitz und zählet 22 Nummern.“ – Diese dürften noch alle um den Dorfplatz gestanden sein; denn man kam ungefähr auf diese Zahl, wenn man der im Jahre 1770 eingeführten Numerierung folgte, die rechts vom Ortsausgang zur Straße began und im Uhrzeigersinne verlief. Im Jahre 1839 wies der Ort – nach J. G. Sommer – 30 Häuser mit 197 deutschen Einwohnern auf, war nach Teinitz eingepfarrt und hatte ein Wirtshaus und eine zweigängige Miihle mit Brettsäge. – Zu diesem unteren „Wirt“ kam um 1880 ein zweites Gasthaus, das sich der Besitzer des Zwalaweyhofes (Nr. 8) auf seinem Acker an der Straße ursprünglich als Ausgedinge erbaut hatte. Beide Wirtshäuser verfügten nach ihrem Neubau (1902 bzw. 1928) über ein ansprechendes Gastzimmer und einen großen Tanzsaal. Die Mühle wurde 1901 auf eine Kunstwalzenmühle umgebaut und 1939 (an Stelle des mittelschlächtigen Wasserrades mit 18 PS) an eine 42 PS starke Turbine angeschlossen, die bereits seit 1906 zur Stromversorgung des Ortes diente. Die Brettsäge war bis 1922 in Betrieb.

In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts setzte im Dorf eine rege Bautätigkeit ein. Die zunächst nur geringe Häuserzahl an der um 1800 neu trassierten Reichsstraße, auch „Bairische Straße“ genannt, weitete sich zu dem Ortsteil „Häusler“. Dann galt es, die durch das Großfeuer vom 27. Oktober 1883 eingeäscherte westliche Dorfhälfte wieder aufzubauen, wobei der Dorfplatz das Aussehen anzunehmen begann, wie man ihn kannte. Um die Jahrhundertwende entstanden rechts der Straße gegen Teinitz die gefälligen Siedlungshäuser der Schulgasse und die Schule selbst, ein stattliches, stöckiges Gebäude, umgeben von einem großen Obst- und Gemüsegarten; es wurde am 19. Oktober 1902 eingeweiht.

Kurz vor dem ersten Weltkrieg wurde die alte Gemeindeschmiede durch einen Neubau ersetzt und zugleich in eine Genossenschaftsschmiede umgewandelt. Die 1215 Anteile wurden auf die 46 Anwesen mit Grundbesitz aufgeteilt, wobei ein Joch (= 0,57 ha) einem Anteil entsprach. Insgesamt hatte um diese Zeit (1910) der Ort 57 Häuser mit 365 Einwohnern, unter ihnen 12 Tschechen. Pferde gab es 58, Rinder 353, Ziegen 11, Schweine 134 und Bienenstöcke 31, dazu reichlich Hühner, Gänse, Enten und Tauben. Auch in den zwanziger und dreißiger Jahren hielt das Wachstum der Gemeinde an. Rührige Handwerker schufen sich in Selbst-, Verwandten- und Nachbarhilfe unterhalb der Neuen Brücke (beim östlichen Ortsausgang) „am Bachl“ und oberhalb derselben im „Schmiedgraben“ schöne Eigenheime, während zu gleicher Zeit mehrere Altbauten, die von Brandkatastrophen verschont geblieben waren, erneuert und in zahlreichen Höfen Um- und Erweiterungsbauten durchgeführt wurden. Dabei wurde, wie schon seit ehedem, das für die Grundmauern benötigte Material den gemeindeeigenen Steinbrüchen entnomrnen, während die Ziegel von der Ziegelei im Orte bezogen werden konnten, in deren Besitz sich zuletzt sechs Bauern teilten; sie wurde 1932 aufgelasssen.

Bis zum Jahre 1939 war Semeschitz auf 71 Nummern angewachsen und zählte 359 Einwohner, von denen sich laut amtlicher Statistik zwei Personen zum Tschechentum bekannten. Das Flächenausmaß der Gemeinde betrug 970,46 ha; davon waren 407 ha Ackerland, 71 ha Wiesen, 411 ha Wald (einschließlich des städtischen Perschinawaldes und des fürstlichen Eichelberges), 4 ha Bauarea und Gärten und 77,46 ha sonstige Flächen. Von diesen entfielen 29,10 ha auf Wege, Straßen, Gewässer und unproduktiven Boden, während 48,36 ha einst Hutweiden waren und inzwischen gleichfalls als Wiesen oder Felder genutzt wurden. Der Viehbestand belief sich nunmehr auf 485 Rinder, 30 Mutter- und 225 Mastschweine und 16 Ziegen. Als Zugkraft dienten den Bauern 53 Pferde, den Kleinbauern und Häuslern 62 Kühe; Fohlen gab es 16.

Von den 70 Familien des Dorfes besaßen 15 ein Haus mit Garten, 12 hatten ein Anwesen mit 1 bis 3 ha und 13 eines mit 3,5 bis 6 ha; Höfe in der Größe von 9 bis 17 ha gab es 7, von 24 bis 28 ha 6, von 35 bis 40 ha 5 und mit 48 ha 2; der gemeindeeigene Grundbesitz betrug 50,32 ha. Dem Erwerb nach lebten 19 Familien nur von der Landwirtschaft und 2 von Landwirtschaft und Gewerbe (Mühle und Gastwirtschaft Nr. 34); die übrigen bestritten ihren Lebensunterhalt teils aus dem kleinen landwirtschaftlichen Besitz in Verbindung mit einem Handwerk, teils allein aus gewerblicher oder sonst einer beruflichen Tätigkeit. Von ihnen waren 22 Familienvorstände Maurer, 5 Zimmerer, 2 Schmiede, 4 Bahnarbeiter, 8 Hilfsarbeiter und je einer Schreiner, Schuster, Straßenwärter, Kaufmann, Fleischer und Gastwirt, Lehrer, Förster und Privatier. Die männliche Dorfjugend (Geburtsjahrgänge 1904-1929) wandte sich zwischen den beiden Weltkriegen und während des letzteren folgenden Berufen zu. Landwirtschaft 22, Mauerei 15, Zimmerei 5; je 4 wurden Schneider und Schmiede, 3 Schlosser, je 2 Mechaniker, Fleischer, Bäcker, Friseure, Bürokräfte und je einer Schuster, Wagner, Küfer (Faßbinder), Sattler und Tapezierer, Maler, Schriftsetzer, Buchbinder, Kraftfahrer und Zahntechniker; 2 besuchten die Landwirtschaftsschule in Staab bzw. Hostau, 2 die Deutsche Handelsschule und je 4 die Deutsche Staatsgewerbeschule bzw. Handelsakademie in Pilsen; einer absolvierte das Gymnasium und promovierte an der philosophischen Fakultät der Deutschen Karls-Universität in Prag. Von der Frauenjugend arbeiteten 41 (zum Großteil) im elterlichen Haushalt und in der Landwirtschaft, 4 lernten Schneiderin, 3 waren Schreibkräfte, 1 Verkäuferin.

Das Vereinswesen des Dorfes beschränkte sich auf den Deutschen Kulturverband und die Freiwillige Feuerwehr. Diese war im Dezember 1906 gegründet worden. Nach wiederholten Bränden wurde im Jahre 1932 die Handspritze durch eine Motorspritze ersetzt. Das politische Leben im Orte war rege und gegensätzlich. Bei der Gemeindewahl im Frühjahr 1919 entfielen auf die vereinigte Partei der Kleinbauern und Sozialdemokraten 7 Sitze, auf die Bauernpartei 5. Durch den Anschluß des Sudetenlandes an das Deutsche Reich (Oktober 1938) war Semeschitz ein Grenzort mit Zollstation geworden, an der 8 Zöllner den Dienst versahen. In den zweiten Weltkrieg waren aus der Gemeinde 22 Männer und 38 Burschen gezogen, von denen 21 nicht mehr zurückkehrten; einer wurde fünf Wochen nach Kriegsende verschleppt und blieb verschollen. Im ersten Weltkrieg waren 8 Heimatsöhne gefallen.

Semeschitz (369 m ü. d. Meer) hatte eine schöne Lage und eine abwechslungsreiche, gesegnete Flur. Im Norden reichte der Wald des Eichelberges (448 m), flankiert vom anmutigen Wiesengrund des Pollesbaches, bis an den Ortsrand heran, im Süden der Gemarkung erstreckte sich die weite, bewaldete Perschina-Höhe (451 m). Beiderseits des vielgewundenen Radbusaflusses dehnten sich üppige Wiesen, gefolgt von fruchtbaren Feldern. Die Bodenbeschaffenheit des höher gelegenen Ackerlandes reichte vom schweren Lehmboden beim Hirschengarten bis zum leichten Schieferboden auf den Bergäckern und der Koppe. Verkehrsmäßig war der Ort durch die Reichsstraße 20 und die Haltestelle der Lokalbahn Stankau-Bischofteinitz-Ronsperg (seit 5. August 1900) gut erschlossen, was neben den wohlfeilen landwirtschaftlichen Produkten samt dem Reichtum der nahen Wälder an Beeren und Pilzen und den schönen Badegelegenheiten mit dazu beitrug, daß Serneschitz alljährlich von zahlreichen Sommerfrischlern aus Pilsen und Prag aufgesucht wurde.

„Nicht ferne von dannen sind einige Mauern und Graben von einem verfallenen Schlosse zu sehen. Die Stadtgemeinde in Teinitz, der dieser Grund gehöret, bauete daselbst erst vor wenigen Jahren einen kleinen Hof.“ So lesen wir bei Schaller, 1789. Hierzu hieß es bei Liebscher S. 299: „Der Meierhof Pieschina wurde in den Jahren 1770 und 1771 auf dem zum früheren Hofe gehörenden Waldgrund, Pieschina genannt, errichtet. Ein Teil dieser Waldstrecke wurde zu einem Meierhofe urbar gemacht.“

Ursprünglich handelte es sich hier wohl um ein Rittergut, das 1312 unter dem Namen „Piessin“ erstmals belegt ist. Einer Eintragung in der Prager Landtafel zufolge kauften es im Jahre 1456 drei Brüder von dem Ritter Rufko von Pieschin für 60 Schock, welche Summe, wie wir oben sahen, etwa der damaligen jährlichen Zinsung von Semeschitz an den Grundherrn entsprach. Im Jahre 1499 wurde „Piezien“ in einer Urkunde des Stadtarchivs als Wüstung bezeichnet, die der Besitzer namens Kaspar mit allen Feldern, Wiesen und sonstigem Zubehör einem Teinitzer Bürger überlassen wolle.

Das alte Gutsgebäude bzw. Schloß stand vermutlich an der Radbusa, etwas gegen Semeschitz, und dürfte durch einen Wassergraben geschützt gewesen sein. Die Flur dort hieß nämlich bis auf unsere Tage „Schloßwiese“ bzw. „Schloßteich“ und barg Reste einer Grundmauer, die allerdings schon 1844 kaum mehr erkennbar war, wie aus einer Karte zu entnehmen war, die Franz Alex. Heber seinem Buch „Böhmens Burgen, Vesten und Bergschlösser“ beigab. Zum Perschinahof (so zu unserer Zeit genannt) gehörten 22,27 ha Felder, 10,30 ha Wiesen und ein 99 a großer Fischteich. Er wurde zusammen mit dem 225 ha großen stadteigenen Perschinawald im Kataster der Gemeinde Semeschitz geführt. Ab 1943 wurde er von der Stadt Bischofteinitz in eigener Regie bewirtschaftet. Südlich vom Hof stand ein altes Hegerhaus, das 1935 durch ein neues Forsthaus ersetzt wurde.

Dr. Karl Stich unter Mitarbeit von Wenzel Schwarz und Josef Fitzthum