Stockau

Stockau [Pivoň]

Nicht nur eine historisch-bekannte, sondern auch eine idyllisch-reizende Stätte war seit eh und je das etwa 5 km westsüdwestlich von Ronsperg in einem wildromantischen Talkessel liegende Stockau, dem der Böhmerwald im wahrsten Sinne des Wortes zu den Fenstern hineinschaut. Der nur gegen Ronsperg offene Talkessel, in dem die Piwonka oder der Stockauer Bach abfloß und die alte Bezirksstraße hereinkam, um über den Frohnauer Paß und durch das Tal von Wassersuppen-Höll das nachbarliche Bayern zu erreichen, wurde im Süden durch einen niedrigen Kammrücken, im Südwesten durch den 876 m hohen Hirschstein und im Westen und Nordwesten durch den 869 m hohen Lissa begrenzt.

Die Silhouette des einstigen Augustinerklosters wurde noch überragt von dem mächtigen Zwiebelturm der der Gottesrnutter Maria geweihten Kloster- und späteren Pfarr- oder Schloßkirche, die leider am 2. Mai 1953 erneut ein Raub der Flammen wurde und seitdem vollkommen zerstört ist.

Während bereits Liebscher in seiner Heimatkunde schrieb, daß die Umgebung von Stockau sehr reich an Steingrabhügeln ist, in denen wiederholt Bronzegegenstände und selbst keltische Silbermünzen, sogenannte Regenbogenschüsselchen, gefunden wurden, gelang es gerade in jüngster Zeit, neue Funde von Stein-, Kupfer- und Bronzewerkzeugen zu entdecken. ja eine auf dem Grund der Waltersgrüner Kirche gefundene Metalltafel bezeugte eindeutig Kaiser Heinrich III. mit der Jahreszahl 1041 und dem Reichsadler als Gründer von Stockau. Anderen Quellen zufolge soll das Kloster Stockau jedoch schon im Jahre 932 gegründet worden sein und zwar von bayerischen Eremiten.

Nach den von Schaller angeführten Gewährsmännern Aeneas Sylvius, Balbin und Adaukt Voigt gab die Veranlassung zur Entstehung des Ortes eine Kapelle, die Herzog Břetislav I. von Böhmen an der Stelle der jetzigen Kirche aus frommer Dankbarkeit für den am 22. und 23. August 1040 über den deutschen Kaiser Heinrich III. hier erfochtenen Sieg im Jahre 1047 erbauen ließ. Sommer merkte aber an, daß nach dem tschechischen Historiker Palacký (Geschichte von Böhmen, 1. Bd., S. 283) die Schlacht in der Gegend von Neugedein und Neumarkt geschlagen wurde, wo das deutsche Heer über Eschlkam durch das Chambtal in Böhmen eingedrungen sei. Indessen hatte Heinrich gleichzeitig, um die Stellung der Böhmen zu umgehen, den Markgrafen Otto von Schweinfurt auf „anderen Wegen“ ausgesandt, der ebenfalls von Břetislav geschlagen wurde. Wahrscheinlich war jener andere Weg der Paß von Klentsch, und so konnte die Niederlage Ottos, durch welche der Sieg Břetislavs erst vollständig gemacht wurde, wohl in der Gegend des heutigen Stockau vorgefallen sein. Aber bereits 1042 zwang Kaiser Heinrich III. – das ist historisch einwandfrei – Böhmen zur Lehnspflicht.

1789 sagte aber Schaller noch: „In der ehemaligen Stiftskirche trifft man noch heut zu Tage unter dem großen Altare jenen Baumstock an, auf welchem der Kaiser Heinrich saß, da er dem Herzog Brzetislaw die Schlacht lieferte.“ Und Sommer fügte hinzu, daß der Name Stockau von diesem Baumstock abgeleitet ist. Frinds Kirchengeschichte entnehmen wir schließlich, daß die Stockauer Klosterkirche im Jahre 1047 von Bischof Severus geweiht wurde.

Wie schon gesagt, waren es bayerische Eremiten des hl. Wilhelm, die hier in Stockau oder in „Stock in der Au“ heimisch wurden und die längere Zeit Wilhelmiten, Gulielmiten oder Blanc manteaux genannt wurden. Das Eremitorium in Stockau war das erste Kloster des Augustinerordens in Böhmen, und die ersten Brüder der Augustiner in Schopka bei Melnik waren dem Stockauer Kloster entnommen. Die Mönche mußten persönlich das Gelübde der Armut halten, durften aber für die Erhaltung ihrer Ordensfamilien durch Besitz und Erwerb von liegendem Eigentum sorgen.

Welche Aktivität die Stockauer Augustiner entwickelten, ersah man aus den mit ihren Lehensleuten nach und nach gegründeten Orten. Für 1120 ist Frater Walther Grünes zu nennen, der Waltersgrün-Gründer, für 1130 der Mönch Georgi Fronhauser, dem Frohnaus Gründung zugeschrieben wurde. Weitere Gründungen waren Glaserau, Heiligenkreuz, Münchsdorf, Gramatin, Kleinsemlowitz, St. Georgen, Linz, Schiefernau, Tannawa und Trasenau.

Sorgsame Pflege fand bei den Mönchen auch die Arzneikunde. In dem in Stockau angelegten Garten wurden viele Heilpflanzen gezogen, später auch eine Apotheke errichtet. Um die Einkünfte des Klosters zu vermehren, legten die Mönche Pottaschensiedereien, Getreide- und Papiermühlen, einen Waffenhammer und ein Brauhaus an. Dadurch wurde das Wohl der Bevölkerung gefördert, die Roherzeugnisse wurden verwertet. Das Kloster bezog Zinsungen von den im Untertänigkeitsverhältnis stehenden Anwohnern, insbesondere der genannten Dörfer. Abgaben leisteten Bäcker und Fleischer. Sehr ergiebig war der Zins der Müller und Papiermacher. Die ergiebigste Mühle bestand in Münchsdorf, wo sich die erste Zunftgenossenschaft Böhmens, die Weberzunft, befand. Auch brachten es die Mönche fertig, daß in Münchsdorf ein Zollamt errichtet wurde.

Der Ökonomie wurde ebenfalls große Sorgfalt gewidmet. Angebaut wurden Getreide und Knollenfrüchte. Wegen des Brauhauses wurden sogar Hopfengärten angelegt, welche jedoch nicht bedeutend gewesen sein sollen. Für die Schneckenzucht wurde ein eigenes Schneckenhaus aufgeführt. Grünzeug und Forellen wurden viel verbraucht.

1393 war ein gewisser Ziffridus Prior des Stockauer Klosters, dem nicht immer friedvolle Zeiten beschert waren. So fiel am 17. Mai 1421 dasselbe in die Hände der Hussiten. Die Brüder retteten sich durch die Flucht in die nahen Wälder, konnten aber bald zurückkehren. Papst Bonifatius übergab dem Kloster die Pfarren in Stockau, Schüttwa, Waltersgrün und Rokesin (das eingegangene und spätere St. Georgen). Paprocky berichtete, daß auch das Kloster Stockau nach dem Tode König Wenzels zerstört wurde und lange Zeit öde stand, bis es die Ordensbrüder wieder aufbauten. 1573 wurde es unter dem Prior August Patzinauer aus Landshut aus Unvorsichtigkeit abermals eingeäschert, wobei die alten Urkunden und Kirchenschätze verbrannten.

1595 baute Prior Kaspar Malesius aus Oppeln das Kloster von Grund aus auf und führte ihm das Entzogene wieder zu, ließ den Hochaltar mit geschnitzten Statuen errichten und von Malern reich verzieren, renovierte die Kelche, Glocken und Ornate, hielt eine gute Zucht und brachte alles in einen besseren Stand (Trajer, Die Budweiser Diözese). Peter von Schwanberg beraubte das Kloster seiner sämtlichen Besitzungen. Doch wurden diese unter Ferdinand II. wieder zurückgegeben. 1619 gaben die Direktoren der protestantischen Stände das Kloster mit den dazu gehörigen Orten und Gründen der Gemahlin Peters von Schwanberg, Anna Maximiliana. Nach der Schlacht auf dem Weißen Berge bei Prag erhielt das Kloster seinen Besitz wieder. 1641 kamen die Schweden unter Banner aus der Pfalz, plünderten das Kloster und hielten es zehn Wochen lang besetzt. Die Ordensbrüder gingen abermals in die Wälder. 1648 erschienen die Schweden erneut. Die Mönche wandten sich diesmal nach Bayern. Das

Kloster mußte eine große Brandsteuer entrichten.

Über die Klostergebäude schrieb Liebscher: „Die Klostergebäude haben drei geschlossene viereckige Höfe, welche durch Tore miteinander verbunden sind. Im ersten Hofe steht die Kirche, an welcher man noch Spuren ehemaliger Schönheit bemerkt. Den zweiten Hol umschließt das Innere des Klosters, welches von allen Seiten durch einstöckige Gebäude eingeschlossen ist. In der Mitte des Hofes befindet sich ein Granitbrunnen mit sehr gutem Trinkwasser. Das Brauhaus gehört jetzt der Ronsperger Herrschaft. Das ehemalige Klostergebäude ist das gegenwärtige Schloß, in welchem sich die Wohnung des Seelsorgers befindet. Das Schloß enthält aber 30 geräumige Zimmer, ehemalige Zellen. Die Umgebung des Schlosses wird durch Statuen und herrliche Lindenbäume verschönert. . .“

Bezüglich der Klosterkirche war bekannt, daß 1661 das Refektorium (Speisesaal) errichtet wurde, 1866 der Chor, wo sich die mächtige Orgel befand. Auch gab es hier viele von den Mönchen mit Schnitzereien verzierte Stühle. Und weiter berichtete Liebscher: „1696 entstand der Hochaltar, unter welchem der Sage nach der Baumstamm liegt, auf welchem Herzog Bretislaw während der angeblichen Schlacht im Jahre 1040 ausruhte. 1696 wurde das Schiff der Kirche, 1733 neue Gänge und die Sakristei erbaut sowie der hintere Teil des Klosters, die Kanzlei, und 1756 das Brauhaus. 1783 besaß das Kloster 17 Priester und 12 Studierende mit 5 Laienbrüdern. Die Studierenden beendeten ihre Studien nicht im Kloster, sondern an der Prager Universität.“

Das Fürst Trauttmansdorff’sche Archiv nannte uns als Priore des Stockauer Klosters 1727 Anton Bäuml, 1749 Jeremias Knecht, 1774 Fulgentius Michl, 1780 Godefridus Meltzer, 1785 Rudolf EIbl. Am 8. September 1785 wurde das Kloster auf Befehl Kaiser Josef II. aufgehoben. Das Klostervermögen betrug zu dieser Zeit 141 835 Gulden. Die Brüder bezogen auf Anordnung Josef II. monatlich 16 Gulden.

Infolge der Pfarr-Regulierung wurde in Stockau eine Lokalie errichtet und Pater Mauritius Krschischatko, ehemaliger Bibliothekar und Archivar des Klosters, als erster Seelsorger angestellt. Er war hier Lokalist bis zum 20. Januar 1821, ging dann in den Ruhestand und starb im selben Jahr. Die übrigen 11 Brüder des Klosters wurden teils in der Seelsorge angestellt, teils in andere Klöster desselben Ordens versetzt. Nach Aufhebung des Klosters verblieben außer dem Stiftsgebäude die Apotheke, eine Mahlmühle, die Bierbrauerei und einige Häuser, deren Bewohner zu verschiedenen Arbeiten herangezogen wurden. Es erfolgten aber auch weitere Ansiedlungen.

Nach Aufhebung des Klosters wurde Stockau mit dem ganzen Inventar dem Religionsfond für 148 835 Gulden abgetreten, im Jahre 1800 aber an den Landesadvokaten Dr. Stöhr verkauft. Dessen zwei Söhne veräußerten das Gut 1839 an den Grafen Thun, welcher es der Herrschaft Ronsperg einverleibte. Seit 1864 gehörte es dann der Herrschaft Coudenhove-Kalergi in Ronsperg.

1789 war das 20 Meilen von Prag entfernte Dorf Stockau ein Ort mit 24 Nummern, 1839 zählte Sommer 43 Häuser mit 391 Einwohnern, 1 Lokalie-Kirche zu Mariä Verkündigung, 1 Lokalie-Gebäude, 1 Schule, sämtliche unter dem Patronat der Obrigkeit, 1 obrigkeitliches Schloß, 1 Wirtschaftsamt, 1 Meierhof, 1 Försterwohnung, 1 Bräuhaus auf 21 Faß 2 Eimer, 1 Branntweinhaus, 1 Flußhaus (Pottaschensiederei), 1 Mühle mit Brettsäge und 1 Wirtshaus. Abseits lagen der „Waffenhammer“ (2 Nummern) und das „Branderer Hegerhaus“.

1913 hatte Stockau 49 Häuser mit 346 Einwohnern und war bereits eine gern besuchte Sommerfrische, über die Liebscher berichtet: „Die reine, würzige Waldluft, die herrlichen Wesen, das gesunde, frische Trinkwasser, die mächtigen Lindenbäume und die Wälder gestalten den Ort zu einem sehr angenehmen Sommeraufenthalt für Stände aller Art. Stockau enthält 6 große Teiche, in denen Forellen gezogen und meist in die großen Badeorte versendet werden.“

Das Schulhaus der dreiklassigen Schule mit der Kinderzahl von 208 wurde am 1. Mai 1899 eingeweiht. Die Baukosten betrugen 16458 fl. An Vereinen sind für 1913 die Ortsgruppe des Deutschen Böhmerwaldbundes mit 32 und der Feuerwehrverein mit 111 Mitgliedern zu nennen. Damals erzeugte, das Brauhaus jährlich 8400 hl Stockauer Bier.

Die Bewohner Stockaus lebten in der Hauptsache von der Land- und Forstwirtschaft, von handwerklichen Berufen und vom aufblühenden Fremdenverkehr; denn infolge der herrlichen Lage am Fuße des Hirschsteins, von dessen Ruine man einen einmaligen Aus- und Rundblick nach Bayern und bei klarer Sicht sogar bis zu den rauchenden Schornsteinen Pilsens hatte, blühte Stockau als Luftkurort immer mehr auf. Die reine Höhenluft und die gepflegten, ruhigen Waldwege lockten besonders viele Städter nach Stockau, wo sie Entspannung und Erholung fanden.

Freilich konnte die nicht ausreichende Heimatscholle alle kinderreichen Familien keineswegs ernähren, so daß viele Frauen und junge Männer zum Hopfenpflücken in die Saazer Gegend fuhren, oder auch durch Spitzenklöppeln ihren Lebensstandard zu verbessern trachteten. Manche aber suchten auch ihr Glück in der Fremde. Nicht wenige nahmen daher den Weg in die Vereinigten Staaten von Amerika, andere lockte das nahe Eger oder die Weltstadt Wien.

1937 betrug das Flächenausmaß der Gemeinde Stockau 288,98 ha. Davon waren 59,40 ha Äcker, 7,46 ha Wiesen, 10,23 ha Weiden, 201 ha Wald, 2,85 ha Gärten. 1930 betrug die Einwohnerzahl 308, 1939 254, 1946 283 und die Zahl der Häuser 57.

Im ersten Weltkrieg hatte Stockau 12 Gefallene zu verzeichnen, im zweiten sogar 23.

Josef Bernklau unter Mitarbeit von Franz Schröpfer, Heinrich Cenefels und Franz Spaderna